Pilot Kreislaufwirtschaft Osttirol

Erfolgreich im Kreis wirtschaften

Viel war in letzter Zeit medial von der Kreislaufwirtschaft die Rede. Sie soll unsere derzeit noch überwiegend lineare Durchflusswirtschaft ablösen, so die hehre Zielvorgabe, die nicht zuletzt von der Politik vorgegeben wird. Das derzeitige ökonomische Paradigma, das lange Zeit unhinterfragt Geltung beanspruchen durfte, ist die lineare Durchflusswirtschaft,

die davon lebt, dass immer wieder frische Rohstoffe, sogenannte Primärrohstoffe – im europäischen Fall gleich in zweifacher Hinsicht von außen – in den Wirtschaftskreislauf eingebracht werden müssen. Diese sind von Natur aus begrenzt und können durch Sekundärrohstoffe zumindest teilweise substituiert werden. Diese können je nach Energieaufwand, technischem Verfahren und Beschaffenheit unterschiedlich oft wiederaufbereitet werden. Hier setzt die sogenannte Kreislaufwirtschaft an. Sie ist ein Modell, bei dem bestehende Materialien und Produkte so lange wie möglich geteilt,

geleast, wiederverwendet, repariert, aufgearbeitet und recycelt werden. Auf diese Weise werden der Lebenszyklus von Produkten verlängert und zugleich die Abfälle auf ein Minimum reduziert. Nachdem ein Produkt das Ende seiner Lebensdauer erreicht hat, verbleiben die Ressourcen und Materialien so weit wie möglich in der Wirtschaft. Sie werden also immer wieder produktiv weiterverwendet, um weiterhin Wertschöpfung zu generieren.

 

Neue Kreisläufe und Geschäftsmodelle

Das klingt zumindest in der Theorie einleuchtend, ist aber in der tatsächlichen Umsetzung noch schwierig. Das liegt unter anderem daran, dass es bis dato immer noch billiger war, der

Wirtschaft neue Primärrohstoffe zuzuführen. Das dürfte sich ändern, bedingt durch die geopolitischen Verhältnisse und die konstante Übernutzung der natürlichen Ressourcen und die damit verbundene zunehmende Rohstoffknappheit. Die Kreislaufwirtschaft steht weit oben auf der politischen Agenda der Europäischen Union, und auch Österreich und Tirol sind keineswegs untätig. So hat das Land 2021 die Strategie „Leben mit Zukunft“ beschlossen und eine Plattform Klima, Energie und Kreislaufwirtschaft installiert, in der das Land, die Standortagentur Tirol, Energie Tirol und das Klimabündnis Tirol gemeinsame Sache machen sollen. Mit einem vielversprechenden FFG-Pilotprojekt zur Kreislaufwirtschaft hat sich nun auch Osttirol in Position gebracht, die notwendige Transformation der Wirtschaft planvoll und innovativ in Angriff zu nehmen.

„Kreislaufwirtschaft“, sagt INNOS-Beiratsvorsitzender René Schmidpeter, als Universitätsprofessor für Nachhaltigkeit ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet, „heißt, dass ein vormals linearer Prozess zirkulär geführt wird und man mit den zur Verfügung stehenden Materialien effizienter umgeht.“ Die wirtschaftliche Realität ist von diesen zirkulären Prozessen noch ein Stück weit entfernt. Selbst dort, wo Stoffe im Kreislauf gehalten werden, wie es beim Recycling der Fall ist. Die aus dem Recyclingprozess zurückgewonnenen Stoffe müssen unter teils beträchtlichem Energieeinsatz wieder in neue Ausgangsstoffe transformiert werden. „Das ist in Bezug auf die Kreislaufwirtschaft am wenigsten nachhaltig, weil viel teure Energie aufgewendet und teilweise auch neue Rohstoffe zugesetzt werden müssen“, erklärt Schmidpeter. Um der Kreislaufwirtschaft zum Durchbruch zu verhelfen, werden sich nicht nur das Nutzungsverhalten von Konsumenten, sondern auch das Geschäftsmodell vieler Unternehmen ändern müssen.

 

Ökodesign für ein langes Produktleben

Geht es nach der Politik, sollen Produkte künftig wesentlich langlebiger werden. Der Einbau von Schwachstellen bzw. das planmäßige Veralten von Produkten, wie es das bekannte Schlagwort der „geplanten Obsoleszenz“ insinuiert, soll Produkten weichen, die erstens haltbarer sind und die man zweitens besser reparieren kann. Ökodesign heißt der dem zugrundeliegende, systematische und umfassende Gestaltungsansatz für Produkte, bei denen durch verbessertes Produktdesign Umweltbelastungen über den gesamten Produkt-Lebenszyklus hindurch minimiert werden sollen. „Die Intelligenz steht am Anfang, bei der Produktion, und nicht am Ende, bei der Verwertung. Dadurch entstehen viel schönere und viel bessere Produkte“, sagt Michael Braungart. Der deutsche Verfahrenstechniker und Chemiker hat das Cradle to Cradle-Designkonzept („Von der Wiege zur Wiege“) entwickelt. Dabei sollen Produkte und Produktionsprozesse derart entwickelt werden, dass Verschwendung nicht länger ein Problem darstellt. Sie sollen komplett unschädlich sein für Mensch und Natur und sogar noch mehr: Der Mensch soll mit dem, was er tut, für andere Stoffkreisläufe Nutzen schaffen. Seine Produkte sollen in Stoffkreisläufen funktionieren, so dass es keinen unnützen Abfall, sondern nur noch nützliche Rohstoffe gibt. Dazu braucht es im Designprozess Hirnschmalz und eine interdisziplinäre Perspektive, die über den Tellerrand, den eigenen Stoffkreislauf, hinausblicken kann. In diese Kerbe schlägt auch René Schmidpeter: „Es geht bei der Kreislaufwirtschaft ja nicht um einen einzigen, singulären Kreislauf, sondern um viele einzelne Kreisläufe, die zunehmend ineinandergreifen und einander vervollständigen.“ Die Erkenntnis daraus: „Man muss über die Unternehmensgrenzen hinaus in regionalen Kreisläufen denken.“ Schmidpeter zieht einen Vergleich: „In der Natur läuft auch nicht alles in einem einzelnen großen Kreislauf ab, sondern in einem ganzen Netzwerk von Kreisläufen.“ Michael Braungart vergleicht den Menschen gerne mit den Ameisen, die global betrachtet mehr Nahrung verbrauchen als die Menschheit, allerdings ohne dass dabei Müll anfällt. „Es geht um nicht weniger als darum, alles noch einmal neu zu erfinden. Alle Dinge, die verschleißen, die verbraucht werden – Toilettenpapier, Kleidung, Verpackungen –, müssen so sein, dass sie komplett in biologische Systeme zurückgehen. Alle Dinge, die gebraucht werden, zum Beispiel Kühlschränke und Smartphones, müssen wieder zurück in die Wirtschaft. Anstatt eine perfekte Abfallwirtschaft aufzubauen, geht es darum, die Materialien von vornherein so zu gestalten, dass sie entweder kompostierbar sind oder in der sogenannten Technosphäre bleiben“, beschreibt Braungart seinen Ansatz. „Dann sind wir bei einer Art regenerativen Ökonomie angelangt“, bringt René Schmidpeter die Idealvorstellung eines komplexen ökonomisch-ökologischen Zusammenspiels auf den Punkt, das weit mehr ist als „einfach die heutigen Stoffströme im Kreis zu führen.“

 

Mehr als Recycling

Recycling wird zukünftig einen noch größeren Stellenwert einnehmen, allerdings ist sie in der Kreislaufwirtschaft gar nicht das präferierte Ziel, sondern lediglich einer der möglichen Schritte, der am Ende der Kette kommt. Vor dem Recycling kommen im Kreislauf nämlich noch die Prinzipien Refuse, Rethink, Reduce, Reuse, Repair, Refurbish, Remanufacture und Repurpose zum Tragen. Erst wenn alle alternativen Verwendungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, kommt Recycling in Betracht. Im Idealfall kann aber auch dabei die Qualität des Recyclates bzw. des recycelten Stoffes sogar erhöht werden. Das nennt sich dann Upcycling, das Gegenteil davon – und bei heutigen Recyclingprozessen noch überwiegend – ist aber Downcycling. Dem Produktdesign kommt künftig wie erwähnt ein höherer Stellenwert zu. „Es entscheidet sich bereits im Designprozess, in welchen Kreisläufen das Produkt zirkulieren kann. Die Frage, wie wir die Dinge – Autos, Häuser, Technologie – in Zukunft designen, ist eigentlich zentral“, erklärt Schmidpeter. Die Produkte müssen langlebiger werden und vom Nutzer länger in Verwendung gehalten werden. Das ist die effizienteste Form der Ressourcennutzung, aber bislang nicht unbedingt im Interesse von Unternehmen, die möglichst viele Produkte absetzen wollen. Um diesem Dilemma zu entkommen, sollte man auf neue Geschäftsmodelle setzen. „Das könnte dann so aussehen, dass Produkte dem Kunden nicht verkauft werden, sondern an ihn verliehen werden. Das ist auch für den Produzenten Anreiz, möglichst langlebige Produkte zu bauen“, weiß René Schmidpeter. Derartiges existiert unter dem Schlagwort Product-as-a-Service bereits heute ansatzweise. Indirekt mit der Kreislaufwirtschaft zu tun hat auch eine Veränderung des Mobilitätsverhaltens, in dem mehr Wert auf multimodale Mobility-as-a-Service-Angebote gelegt wird als auf den Besitz eines privaten PKWs, der die meiste Zeit ungenutzt irgendwo abgestellt ist. Mit dem vollautonomen Fahren, das irgendwann dank technologischen Fortschritts auch kommen wird, dürfte sich ein Paradigmenwechsel vom Halter eines Privatfahrzeugs zum Nutzer von verschiedenen Mobilitätsdienstleistungen sich schließlich einfacher – weil komfortabler und kostengünstiger – vollziehen lassen. Doch das nur am Rande. In einer Kreislaufwirtschaft, in der Produkte anders und länger genutzt werden, verliert Konsum als Ausdruck von Status und zur sozialen Distinktion an Bedeutung. „So, wie das Auto in den letzten dreißig, vierzig Jahren in unserer Gesellschaft gesehen wurde, wird es in Zukunft vermutlich nicht mehr sein“, beschreibt Schmidpeter den Bedeutungsverlust des Automobils als Statussymbol.

 

One man’s trash…

Was der Abfall des Einen ist, kann zugleich der Schatz eines Anderen sein. Daher gilt es, sich im Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft branchenübergreifend zu vernetzen. „Das findet heute noch so gut wie überhaupt nicht statt“, meint Schmidpeter. Das gilt freilich nicht nur für Osttirol, sondern für die gesamte Weltwirtschaft. „Wir brauchen, um diese Dinge umzusetzen, aber deutlich mehr Innovationskraft in unserer Wirtschaft“, hält der INNOS-Beiratsvorsitzende fest. Die Komplexität ineinander übergehender Wirtschaftskreisläufe wird zunehmen. Daher kommt der Digitalisierung eine besonders wichtige Rolle zu. Sobald Informationen in Echtzeit zirkulieren, können auch physische Gegenstände einfacher in einen Stoffkreislauf eintreten. Information ist Trumpf. „Es braucht eine weitreichend digitalisierte Gesellschaft, denn sie trägt maßgeblich zur Nachhaltigkeit bei“, sagt Schmidpeter. In diesem Zusammenhang wird es auch eine Herausforderung sein, wie Digitalisierung selbst nachhaltig und nicht Ressourcen raubend gestaltet werden kann. Rechenzentren sind energieintensiv, ihre Abwärme kann aber beispielsweise in Fernwärmenetze eingespeist werden. Wer sich bereits heute intensiv Gedanken darüber macht, wie seine Rohstoffe und Produkte in Zirkulation gehalten werden können, wird bei der notwendigen Transformation der Wirtschaft einen Wettbewerbsvorteil haben. Nicht zuletzt im Kampf um die gut qualifizierten Arbeitskräfte, denn gerade jüngere Generationen legen – nebst einem konkurrenzfähigen Einkommen – im Arbeitsleben gesteigerten Wert auf immaterielle Werte wie Purpose. Wer sich früh genug mit der Thematik befasst und Lösungen entwickeln kann, macht sich nicht zuletzt für Geldgeber attraktiv. Nachhaltigkeit zahlt – vor allem, sobald sie bilanziell ausgewiesen werden muss – auf die Unternehmensbewertung ein und ist zukünftig auch beim Zugang zu Krediten bzw. Fremdkapital in jedweder Form von Vorteil. „Findet man für heutige Probleme eine Lösung, erhöht das die zukünftigen Cashflows, weil man damit die Märkte der Zukunft bedienen kann. Das erhöht schon heute den Unternehmenswert, weil sich der Barwert aus den abdiskutierten Cashflows der Zukunft zusammensetzt“, rechnet René Schmidpeter vor. Klarerweise machen CE-Lösungen auch bei Kunden, sowohl B2B als auch beim Endkunden, eine gute Figur und lassen sich entsprechend gut im Marketing unterbringen. In Anlehnung an einen bekannten Spruch könnte man sagen: Arbeite im Kreis und rede darüber!

 

Smarte Wirtschaft braucht smarte Regeln

„Solange alles seinen gewohnten Gang geht, verändern sich die meisten Unternehmen nicht. Die gegenwärtigen multiplen Krisen haben aber den Innovationsdruck beträchtlich erhöht. Die damit verbundenen Herausforderungen werden nur durch Innovation zu lösen sein. Gehen wir unternehmerisch damit um, sind sie auch eine Chance“, sagt Schmidpeter, der das billige Geld der vergangenen Jahre bzw. die Nullzinsphase auch als Innovationsbremse betrachtet. „Wir brauchen von politischer Seite her ein smartes Regelwerk, das die Dinge, die sich in der Wirtschaft zu entwickeln beginnen, positiv unterstützt und nicht hemmt. Die Politik sollte klare Anreize für die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft setzen“, hofft der Wissenschaftler. Die Betonung liegt auf Anreizen. Aufgrund der hohen Komplexität kann die Kreislaufwirtschaft nicht einfach politisch verordnet werden, sondern es braucht auch die Initiative von Wirtschaft und Konsumenten. „Die Politik muss jetzt lernen, partnerschaftlich zu agieren und zu steuern und nicht Dinge hinter der Tapetentür entscheiden und dann einfach durchdrücken zu wollen“, mahnt Schmidpeter, für den ein solches Handeln in Abstimmung mit regionalen Stakeholdern – Stichwort Campus Lienz – auch in der Bildungspolitik maßgeblich ist. Das gilt von der höchsten bis zur niedrigsten Politikebene, von der europäischen bis zur Kommunalpolitik. Osttirol kann sich als Pilotregion, in der gezielt und gefördert im Kreis gedacht wird, einen Startvorteil erdenken. Die Politik kann diese Entwicklungen erleichtern und ermöglichen, die Wirtschaft mit ihren innovativen Unternehmen ist gefragt, sie herbeizuführen und umzusetzen. Hier in Osttirol wird realistischerweise weder die Wiege noch das Zentrum der Kreislaufwirtschaft sein, aber der Bezirk Lienz kann durchaus ein Positivbeispiel dafür werden, was möglich ist, wenn man miteinander weiterdenkt. „Die Kreisläufe und Stoffströme sind hier aufgrund der Kleinräumigkeit einigermaßen überschaubar und eignen sich gut dafür, genau analysiert zu werden, um mehr Schnittmengen zwischen den Branchen zu finden“, so der INNOS-Beiratsvorsitzende, der zugleich einen Appell an die Unternehmen richtet: „Wir brauchen mehr Kollaboration, denn nur dadurch können Synergien entstehen und neue Produkte, die darauf ausgerichtet sind, länger im Kreislauf zu bleiben und der Umwelt nicht zu schaden.“ Und letztlich auch den Unternehmen zu nützen, die sich nachhaltiger und zirkulärer aufstellen wollen.