Wie, um Himmels willen, kommen die auf die Idee, eine U-Bahn unter einem Dorf zu bauen? Das haben sich damals – 1983 – nicht nur viele Tiroler gefragt: auch international sorgten die Serfauser Pläne für mediales Echo.
Stefan Mangott, der Geschäftsführer der Seilbahn Komperdell, dreht für die Antwort die Zeituhr zurück in die 70er Jahre: „Schon damals wollte man den Individualverkehr aus dem Ort haben. Ein Fahrverbot und kostenlose Skibusse sollten das Problem lösen. Doch mit den steigenden Gästezahlen kam es bald wieder zum Verkehrsinfarkt. An manchen Tagen stauten sich 20 bis 30 Busse durch das Dorf, Trauben von Menschen warteten darauf, einen Platz in den Bussen zu ergattern.“ Also wurde nach Lösungen gesucht. Diskutiert wurden etwa Seilbahnen entlang des Ortes, doch diese Pläne erwiesen sich als untauglich. Bis ein Gemeinderat den entscheidenden Satz prägte:“ Ja, wenns links und rechts nicht geht, dann fahren wir eben unter dem Dorf durch.“ Es war der Beginn eines Pionierprojektes, das bis heute Vorbildwirkung in Sachen Nachhaltigkeit hat.
Ein Dorf atmet auf
Nach der Jungfernfahrt im Dezember 1985 verstummten die Bedenken und auch die Belastung durch die Bauarbeiten war bald vergessen. Mit einem konsequenten Verkehrskonzept hat die Gemeinde dafür gesorgt, dass die Autos vor dem Dorf geparkt werden – mit Ausnahme der An- und Abreise und natürlich des Warenverkehrs. Schnell wurde der mehr oder weniger autofreie Ort zum Katalysator für den kometenhaften touristischen Aufstieg. „Bis heute schätzen Gäste und Einheimische die Ruhe und das gefahrlose Spazierengehen“, sagt Stefan Mangott, „und es hat wesentlich zu unserem Image als besonders geeignete Familiendestination beigetragen.“ Dieses familienfreundliche Image setzt Serfaus bis ins kleinste Detail um. So kommen die Ansagen in der U-Bahn nicht von professionellen Sprechern oder gar aus dem Computer, sondern von einheimischen und urlaubenden Kindern, die sich im Wochenrhythmus abwechseln. Kein Wunder, dass die Eltern anfragen, ob wohl ihr Kind mit den Ansagen dran ist, wenn sie zum Urlaub anreisen.
Technische Pionierleistung
Eigentlich ist die Serfauser U-Bahn eine Standseilbahn – rein technisch betrachtet. Sie wird von einem Seil führerlos durch den Tunnel gezogen, vollautomatisch und überwacht aus einer zentralen Leitstelle. Doch das wahre Wunder der Technik steckt unter den Waggons: kreisrunde Luftkissen mit einem Durchmesser von 70 Zentimetern. 82 solcher Luftkissen tragen den gesamten Zug mit einem Gewicht von 72 Tonnen. Unglaublich? Es kommt noch besser: jedes der Luftkissen wird mit einem Druck von gerade einmal 0,3 bar aufgepumpt. Zum Vergleich: ein Fahrradreifen hat rund 5 bar. Und doch reicht der minimale Druck aus, um die gesamte Bahn 0,1 Millimeter über dem Boden schweben zu lassen, ohne jede Reibung. „Dieses System ist nicht nur das energieeffizienteste, es hat noch einen entscheidenden Vorteil“, erklärt Stefan Mangott. „Wir fahren ja mitten durchs Dorf, deshalb war von Anfang an klar, dass diese Fahrten erschütterungsfrei sein müssen. Mit den Luftkissen gibt es keinen Körperschall und in den Häusern merkt man von der U-Bahn nichts.“ Durch den feinen Luftfilm und das Fehlen jeder Reibung könnte ein Erwachsener übrigens einen U-Bahn-Wagen nur mit Muskelkraft schieben – theoretisch.
Erlebnis statt Wartezeit
Ganze vier Stationen umfasst die Serfauser U-Bahn Linie: vom Parkplatz über die Kirche und das Zentrum bis zur Seilbahn. 2017, nach immerhin mehr als 30 Jahren Betrieb, war klar, dass die alte Dorfbahn den neuen Anforderungen nicht mehr entspricht. Bis 2019 hat man weitere 26 Millionen Euro in die Hand genommen und die gesamte U-Bahn runderneuert und mit größeren Kapazitäten ausgestattet. Großzügige Lösungen wurden auch bei der Gestaltung der Stationen gefunden. „Wir wollten eine moderne Architektur, die sich aber trotzdem ins Dorfbild einfügt. Gerade in sensiblen Bereichen wie neben der Kirche und im Zentrum konnten es keine 08/15-Stationen sein. Mit unserem Architekten Hanno Vogl-Fernheim ist es gelungen, hier stimmige und nachhaltige Lösungen zu finden“, lobt Stefan Mangott. Doch die Stationen glänzen nicht nur mit ihrer Architektur. Die kurze Wartezeit soll zur Qualitätszeit werden. Und so warten in jeder Station interaktive Beschäftigungen für Kinder und Erwachsene – mittlerweile ist ein Rundgang durch die Stationen in den Hotels zum beliebten Schlechtwetterprogramm geworden.
Nachhaltig genießen
Die neue Bahn trägt den seinerzeitigen Pioniergeist weiter und macht die nachhaltige Verkehrsvermeidung zukunftssicher. Und doch wäre die heutige Generation in Serfaus nicht aus dem Holz ihrer Väter geschnitzt, hätte man sich nicht schon weitere Gedanken gemacht. Noch in diesem Sommer wird ein 130 Meter langer Anbindungstunnel vom Parkplatz direkt zur ersten U-Bahn-Station eröffnet. Damit müssen die Fahrgäste nicht mehr durch das Treppenhaus hinauf und auf der anderen Seite zur Station hinunter. „Diese vierte Baustufe haben wir als Service für unsere Gäste drangehängt“, lächelt Stefan Mangott. Raus aus dem Auto, rein in die U-Bahn, gute Luft atmen und Ruhe genießen – Serfaus zeigt vor, wie man Urlaub nachhaltig genießen kann.