„Den Gstir hat der Schnellzug gestreift“ – das war noch eine der freundlicheren Bemerkungen, mit denen der Bauer aus Niederndorferberg, im Bezirk Kufstein bedacht wurde, als er Anfang der 90er Jahre antrat, um die marode Sennerei Hatzenstädt vor dem wirtschaftlichen Aus zu retten. „Für mich war klar, dass wir in eine biologische und naturnahe Richtung gehen mussten, um hochwertige Produkte herzustellen“, sagt Heinz Gstir. Innerhalb kurzer Zeit wurden 43 Betriebe im Umfeld der Sennerei Hatzenstädt auf bio umgestellt. Das muss man sich vorstellen – zu einer Zeit, als es in ganz Tirol gerade mal gezählte 27 Bio-Betriebe gegeben hat. Gstir wurde als Spinner abgestempelt, aber er ließ sich nicht beirren. Die Milch von den Bergbauernhöfen wurde und wird bis heute mit Materialseilbahnen angeliefert und sofort frisch verarbeitet. Was kam, war ein Erfolgslauf, der bis heute anhält. Wer die Produkte der Sennerei Hatzenstädt „ergattern“ will, bemüht sich am besten selbst zur Sennerei. Die Autokennzeichen am Parkplatz zeigen, dass viele dafür weite Wege in Kauf nehmen.
Kreislaufwirtschaft und Gemeinwohl
Wir sitzen auf der gemütlichen Terrasse des neuen Hauses, das Heinz Gstir für sich und seine Frau direkt neben dem Bauernhof gebaut hat – den Hof selbst führt mittlerweile sein Sohn, wobei Gstir nach wie vor auf dem Feld, dem Traktor und im Stall zu finden ist, wenn Not am Mann ist. Was ihn seit 20 Jahren antreibt, wollen wir wissen, und wie es zur Gründung von Bio am Berg kam. Gemeinwohl und regionale Wertschöpfung sind zwei Leitgedanken für Gstir. „Der Geld- und Warenkreislauf muss weitgehend in einer überschaubaren Region bleiben, dann haben alle was davon und so wird das Gemeinwohl abgesichert. Mir ging es darum, die Wertschöpfung zu den Produzenten – also auf die Bergbauernhöfe – zu bringen.“
In der Bio-Sennerei Hatzenstädt zeigt Gstir vor, was er damit meint: hier wird die gesamte Prozesswärme mit Holz erzeugt, das von den Genossenschaftsbauern angeliefert wird. Geld, das die Sennerei verdient, fließt so wieder zu den Produzenten zurück und ermöglicht denen ein rentables Wirtschaften und die Erzeugung hochwertiger Lebensmittel anstatt preisgedumpter Massenproduktion.
Bio vom Berg versetzt Berge
2001 haben sich dann Bio Bauern aus dem Unterland zusammengesetzt, um über neue Vermarktungsstrategien zu reden. Damals galten die „Öko-Spinner“ immer noch als reichlich exotische Gemeinschaft, die sich ertragssteigernden Düngern und schädlingshemmenden Pestiziden verschlossen. Heinz Gstir war 2002 als Vertreter der Sennerei Hatzenstädt dabei und er erinnert sich: „Für uns war damals wichtig, dass wir nicht nur Rohmilchlieferanten sein wollten, sondern dass es darum ging, selbst hochwertige und veredelte Produkte zu verkaufen.“ Schließlich wurde die Genossenschaft Bioalpin gegründet und man ging auf die Suche nach Handelspartnern. Da kam Gstir ein Zufall und eine Begegnung zugute, die sich als schicksalhaft erweisen sollte. Anton Mölk, der Chef der Supermarktkette M-Preis, war bereit der jungen Genossenschaft eine Chance zu bieten. Per Handschlag einigte man sich auf einen Probelauf ohne Listungs- und Regalgebühren – im Lebensmittelhandel eine absolute Ausnahme. Der Handschlag und die Abmachungen gelten bis heute und ein schriftlicher Vertrag zwischen den Biobauern und MPreis existiert nach wie vor nicht. Der Erfolg ist dafür umso spürbarer.
Waren es am Anfang gerade mal 8 Produkte, die Bio vom Berg zu bieten hatte, sind es heute mehr als 150. Geliefert werden sie von mehr als 600 Bauern und Produzenten und nach wie vor unter der Maxime bio, regional und in bester Qualität.
Ein Leben für die Berglandwirtschaft
Dass es gelungen ist, die Wertschöpfung auf den Bergbauernhöfen zu behalten, anstatt Großkonzerne den Rahm abschöpfen zu lassen – das macht Heinz Gstir im Rückblick zufrieden. Als „Retter der Tiroler Berglandwirtschaft“ will sich der stets bescheiden und geerdet gebliebene Bauer Gstir aber nicht feiern lassen.
„Vieles ist im Rückblick gelungen“ gesteht er zu, „vor allem auch durch die guten Mitarbeiter und Mitstreiter, die ich stets hatte“. Seine Beharrlichkeit und sein Traum von bäuerlichen Produkten, die ohne Zwischenhandel in den Regalen der Supermärkte landen, hat unzählige Klein- und Kleinstbetriebe wirtschaftlich überleben lassen. Betriebe, denen im europaweiten Konkurrenzkampf am Agrarmarkt längst das Aus prophezeit worden war.
Den Feinkostladen Natur und die Leistung der Bergbauern auch für die Konsumenten nachvollziehbar und erlebbar gemacht zu haben ist wohl das größte Verdienst von Heinz Gstir – einem Mann, der seine Vision mit Leidenschaft gegen alle Widerstände umgesetzt hat und so zu einem der wichtigsten Bio-Pioniere geworden ist.