So viel Kraft

25.02.2025
Wissenschaft
Alexandra Keller
Francesca Ferlaino entdeckt am Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) immer wieder Bahnbrechendes in den allerkleinsten Welten. Die Experimentalphysikerin brennt lichterloh für ihr Fach und sagt: „Die Quantenwelt ist für mich ein Abenteuer und eine faszinierende Reise.“

Die Geschichten von Entdecker:innen neuer Welten faszinieren. Das tun sie schon immer. Erst Wagemut, Neugier und der unbändige Wille, das Unbekannte zu erforschen, machen Abenteuergeschichten so spannend. Stießen die Kartografen längst vergangener Zeiten an Grenzen, warnten sie mit den Worten Hic sunt dracones – „Hier sind Drachen“ – vor den unerforschten Gebieten. Drachen waren es dann aber nie, die hinter den Grenzen lauerten. Vielmehr taten sich dort ungeahnte Möglichkeiten auf.

Total neu

„Manchmal messen oder erforschen wir Phänomene, die sich vor ein paar Jahren niemand vorstellen konnte. Was mir viel Spaß macht ist, dass die Konsequenzen wirklich total neu sind“, macht Francesca Ferlaino klar, dass sich die Faszination am Neuen nicht geändert hat, seit die große Welt in weiten Teilen erforscht war und sich die wissenschaftliche Neugier auf die vermeintlich kleinen und allerkleinsten Welten konzentrierte.

Francesca ist Professorin am Institut für Experimentalphysik der Uni Innsbruck und Direktorin am Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Als Wissenschaftlerin ist sie eine Entdeckerin in den allerkleinsten Welten. Wagemut, Neugier und der unbändige Wille, das Unbekannte zu erforschen, prägen ihren Karriereweg und sie sagt: „Die Quantenwelt ist für mich ein Abenteuer und eine faszinierende Reise.“

Denk-Grenzen sprengen

Diese Reise hat die gebürtige Neapolitanerin im Jahr 2006 an die Universität Innsbruck geführt, wo das international renommierte Institut für Experimentalphysik lockte und wo knapp drei Jahre zuvor das IQOQI dazu angesetzt hatte, die abenteuerlich anmutenden Quantengeheimnisse theoretisch und experimentell zu lüften. Geheimnisse, die alles Bekannte auf den Kopf stellen, die Denk-Grenzen sprengen und die bereits in einer Weise geknackt wurden, dass auf den Basiskonzepten in die Technologieebenen vorgedrungen werden kann. Um immer wieder bahnbrechende Weichen dafür zu stellen, braucht die erfolgreiche Wissenschaftlerin kein Schiff und auch kein Shuttle. Experimente in den Laboren des Institutes sind Francescas Wegmarker, Natur und Universum besser zu verstehen, ihr Ziel.

Die Direktorin vom IQOQI ist der beste Beweis, dass Quantenphysik sehr wohl auch Frauensache ist.

Schön paradox

Ihre Begeisterung steckt an. Etwa, wenn sie mit funkelnden Augen betont, „Komplexität ist schön“, und Lust dafür weckt, out of the box zu denken, jenseits von schwarz weiß, abseits jeglicher Muster, wider alle Erwartungen. Paradox ist vieles in der Quantenwelt, im Grunde genommen bildet das Wort einen roten Faden zwischen all den dort beobachteten Phänomenen. „Stimmt, am Anfang ist da immer das Gefühl, das ist paradox, das kann nicht sein. Atome können nicht eine Kugel und eine Welle gleichzeitig sein“, sagt Francesca, „dann aber, wenn wir das Problem studieren, ist das kein Paradoxon mehr.

Es stimmt. Wir können diese Phänomene sehen, wir können das schon messen.“ Dass eine Materie gleichzeitig flüssig und fest sein kann, ist längst keine Idee mehr. Francesca und ihrem Team ist es beispielsweise gelungen, dies bei atomaren Gasen nachzuweisen. Genau diese Art der Grundlagenforschung ist es, die zu den Sprungbrettern für konkrete Anwendungen und vor allem für junge Physiker:innen werden kann.

Sehr klein, sehr kalt

So klingt es, wenn Francesca ihre Arbeit Siebenjährigen erklärt, deren Phantasie und Kreativität so grenzenlos ist, wie die Möglichkeiten, die in Quantenoptik oder der Quanteninformation stecken.

Eine erste Ahnung dieser Möglichkeiten hatte Francesca als 14-jährige Schülerin beim Gedanken an die Kernspaltung bekommen beziehungsweise daran, welche Energie beim Spalten eines Atomkerns freigesetzt wird. „So klein und so viel Kraft“, umschreibt sie den Trigger beziehungsweise den Moment, in dem es zwischen ihr und den Quanten gefunkt hat. Der Funke entzündete ein nachhaltiges Feuer und katapultierte sie an die Spitze ihres Forschungsfeldes, in dem die Wahl-Tirolerin nicht nur eine der erfolgreichsten Wissenschaftlerinnen, sondern auch eine begnadete Frontfrau ist.

Francesca Ferlaino an ihrem Arbeitsplatz am Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI)

Gamechangerin

„Im Moment gibt es so viele neue Jobs in der Quantentechnologie, so viele Chancen für junge Menschen, die Physik studieren. Das ist ein Wahnsinn“, weiß die 48-Jährige, die vor allem auch junge Frauen für die Physik begeistern und ihnen Wege ebnen will: „Ich träume von einer Welt, in der wir aufhören, zu denken, dass Physik kein Girls-Thing ist.“ Wie so viele wissenschaftliche Felder, so war auch die Quantenphysik über Jahrzehnte von Männern dominiert. Um dies zu ändern und die Rolle von Frauen in der Physik zu stärken, hat Francesca das Projekt atominnen.at initiiert, ein großartiges Netzwerk von und für Frauen in der Physik. Ende 2023 erhielt sie für diese Initiative den österreichischen Frauen-Staatspreis. Neben all den fachspezifischen Preisen, die sie immer wieder entgegen nehmen darf, streicht diese Anerkennung die Vorreiterinnen- und Vorbild-Rolle der nimmermüden Gamechangerin hervor.

Länger und länger

„Ich habe nach meiner Dissertation in Florenz gearbeitet und wollte eigentlich nur für ein paar Monate nach Innsbruck kommen“, blickt Francesca fast 20 Jahre zurück. Weil Innsbruck ein so spannender wie quirliger Forschungsplatz war, entschied sie sich, länger zu bleiben: „Und länger und länger und länger – und jetzt ist mein Leben hier.“ Mit den Quanten, mit ihrer Familie und in der Natur genießt Francesca dieses Leben und sagt: „Bevor ich nach Innsbruck gekommen bin, war ich noch nie auf einem Berg gewesen. Jetzt kann ich Klettern, Wandern, Canyoning. Ich bin heute viel fitter als vor 20 Jahren.“ Diese Fitness scheint zu potenzieren, was in ihr genauso steckt, wie in den Atomen: So viel Kraft.

Weitere Informationen: IQOQI

Alexandra Keller

ist freie Journalistin und Autorin. Sie lebt und arbeitet in Innsbruck.